Welche Ziele haben Sie sich bei der Umstellung auf klimafreundliche Nutzfahrzeuge gesetzt und wie sind Sie dabei konkret vorgegangen?
Nachhaltigkeit gehört seit jeher zu den Grundprinzipien der Contargo. Unsere eigene Nachhaltigkeitsabteilung gibt es seit 2011 – und bereits seit 2017 treiben wir die Dekarbonisierung unseres Unternehmens gezielt voran. Durch diesen frühzeitigen Start und unseren ganzheitlichen Transformationsansatz haben wir unternehmensweit eine starke Basis geschaffen, um unsere Logistiklösungen klimafreundlicher zu gestalten.
Während die Bahn durch die kontinuierliche Vergrünung des Strommixes stetig klimafreundlicher wird, sind die Binnenschifffahrt und der schwere Lkw-Verkehr deutlich größere Hebel und zugleich größere Herausforderungen – denn hier entstehen die meisten Emissionen. Genau deshalb setzen wir dort an.
Schon 2018 haben wir die ersten E-Lkw bestellt, die seit 2019 im operativen Alltag fahren. Unser Ziel: Herausfinden, ob diese Technologie im Tagesgeschäft tatsächlich funktioniert. Die Antwort war eindeutig – nicht zuletzt, als die KsNI-Förderung eingeführt wurde: Unsere Praxiserfahrungen haben gezeigt, dass der Einsatz machbar ist. Deshalb haben wir unsere eigene Flotte konsequent um 86 E-Lkw erweitert – inklusive Ladeinfrastruktur, denn das eine geht nicht ohne das andere.
Ausschlaggebend für unsere Entscheidung waren:
- Eine massive Emissionsreduktion – dank echtem Ökostrom sinken die Emissionen unserer E-Lkw um bis zu 94 % im Vergleich zum Diesel.
- Ein klarer Fit zum Geschäftsmodell – E-Lkw eignen sich, wenn sie sich entsprechend weiterentwickeln. Und genau das haben sie in den letzten Jahren rasant getan.
- Technologische Sprünge – höhere Reichweiten, leichtere Akkus und die Möglichkeit, Gefahrgut zu transportieren, machen E-Lkw immer attraktiver.
- Unser operatives Profil passt – tägliche Laufleistungen von 250–450 km und regelmäßige Rückkehr zu unseren Terminals sind ideale Voraussetzungen.
- Ein abgestimmtes Gesamtkonzept – der Betrieb mit Depotladung ermöglicht es uns, die laufenden Kosten im Griff zu behalten und eine verlässliche Einsatzmöglichkeit zu schaffen.
- Erste Erfahrungen mit Schnellladung – schon mit 150 kW haben wir Lastspitzen erzeugt und gelernt, worauf es ankommt.
- Ladeinfrastruktur ganzheitlich denken – ohne Trafoausbau, Speicherlösungen und intelligentes Energiemanagement funktioniert es nicht.
- Ein wachsendes Kundeninteresse – Zero-Emission-Transporte werden zunehmend nachgefragt.
Besonders wichtig ist uns dabei, die Machbarkeit zu zeigen. Während der Verkehrssektor oft Ausreden sucht, machen wir konkrete Schritte. Denn: Es geht. Der Verkehrssektor ist sogar einer der wenigen, der seine Emissionen nahezu vollständig eliminieren kann – wenn man bereit ist, echte Veränderung zuzulassen.
Dieser Wandel bedeutet nicht nur Investitionen in Fahrzeuge, sondern vor allem in ein neues Denken und Handeln. Es braucht:
- ein Management, das bereit ist, in zukunftsfähige Lösungen zu investieren – auch ohne unmittelbare Rendite,
- technische Verantwortliche, die Ladeinfrastruktur aktiv mitgestalten,
- ein Vertriebsteam, das Kund:innen vom Mehrwert neuer, emissionsfreier Logistiklösungen überzeugt,
- Disponent:innen, die den Wandel im Tagesgeschäft möglich machen,
- und Fahrer:innen, die täglich mit den neuen Fahrzeugen unterwegs sind – und oft die besten Rückmeldungen liefern.
Und das ist nur ein Ausschnitt der vielen Veränderungen, die notwendig sind.
Die eigentliche Herausforderung war, Zukunft vorwegzunehmen – zu einem Zeitpunkt, an dem noch niemand sicher sagen konnte, wie sich Technologie und Nachfrage entwickeln würden. Es ist und bleibt eine Henne-Ei-Frage: Warten wir auf klare Kundenanforderungen oder bieten wir jetzt schon zukunftsfähige Lösungen an? Wir haben uns entschieden, aktiv voranzugehen. In den nächsten Jahren werden wir Schritt für Schritt unsere Lkw-Flotte elektrifizieren und das gemeinsam mit unseren Subunternehmern.
Denn nur so bleiben wir auch in 5, 10 und 20 Jahren ein innovatives, kundenorientiertes und nachhaltiges Unternehmen.
Welche konkreten Erkenntnisse konnten bei der Umstellung bisher gewonnen werden? Welche besonderen Herausforderungen gab es? Welche „Dos and Don’ts“ sollten andere bei der Umsetzung beachten?
Die tatsächliche Komplexität wurde erst im Laufe der Umsetzung sichtbar – und zeigt sich bis heute. Es gab keinen klaren Fahrplan, keine Best Practices. Alles war Learning by Doing – für alle Beteiligten.
Ein wesentliches Learning: Technologie ist nur die halbe Miete – Prozesse, Zuständigkeiten und Erwartungshaltungen haben sich genauso zu verändern wie die Infrastruktur selbst. Und das kostet Zeit, Nerven und vor allem Geld. Dass sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen durch globale Krisen so massiv verschärfen würden, war 2021 nicht vorhersehbar. Rückblickend hatten wir Glück, in einer konjunkturell stabilen Phase gestartet zu sein – heute wäre ein solcher Kraftakt kaum realisierbar.
Die wichtigsten Erkenntnisse auf einen Blick:
- Batterieelektrische Fahrzeuge funktionieren aktuell in unserem Tageseinsatz mit bis zu 450 km zuverlässig – besonders im Kombinierten Verkehr.
- Technologische Entwicklung ist enorm – mit höheren Reichweiten, sinkendem Gewicht und der absehbaren Möglichkeit, auch FL/EX-Gefahrgut zu transportieren.
- Depotladen ist der Gamechanger – planbar, effizient, netzdienlich. Wer Ladeinfrastruktur aufbaut, braucht ein durchdachtes Lastmanagement und langfristige Kapazitätsplanung.
- Zulassungsrechtliche Hürden (z. B. zulässiges Gesamtgewicht) bleiben limitierende Faktoren – eine Erhöhung um 2–4 Tonnen ist essenziell.
- Politische Flankierung ist unerlässlich – zusätzliche Lademöglichkeiten wie die Oberleitungstechnologie und eine Elektrifizierung der Verladerampen, Batterie-Swapping sind neben dem öffentlichen Laden wichtige Bausteine für das Hochskalieren der E-Mobilität.
Dos:
- Möglichst früh Netzbetreiber, Techniker:innen und Entscheider:innen einbinden.
- Infrastruktur als strategisches Gesamtkonzept denken – nicht nur als „Stecker an der Wand“.
- Offen kommunizieren, was geht – und was (noch) nicht.
Don’ts:
- Nicht auf „den perfekten Zeitpunkt“ warten – den gibt es nicht.
- Nicht unterschätzen, wie viel interner Change-Management-Aufwand entsteht.
- Keine reine Technikentscheidung treffen – es ist immer auch ein Kulturwandel.
Unser Fazit: Wer ernsthaft umstellen will, braucht Mut, Geduld und eine klare Zielrichtung – dann wird aus einer Herausforderung eine echte Zukunftsperspektive.